„Ich könnte heulen. Am liebsten den ganzen Tag. Wenn ich nur an die Arbeit denke, könnt ich heulen.“
Nein, das ist nicht ein Satz einer weinerlichen Sachbearbeiterin, sondern der Satz des Geschäftsführers eines großen Unternehmens. Die Mitarbeiter schreien nach Veränderung und Unterstützung. Man ist sich einig, dass etwas getan werden muss. Unschlüssig darüber, was. Was bietet man den Mitarbeitern an? Der Chef selbst glaubt nicht an Burn-Out. Weil es ein Trend ist. Und heulen könnte er, weil gerade alle an ihm ziehen. Von oben, von unten. Das nervt. Ist anstrengend. Aber Burn-Out? Das ist es nicht. Weil Burn-Out? Gibt es nicht.
Das Thema betriebliches Gesundheitsmanagement kommt immer mal wieder auf die Tagesordnung und was will man denn da groß machen? Einen Vortrag über Burn-Out-Prävention? Da kommt doch sowieso keiner. Wenn ich da hin gehe, meint jeder, ich hätte Burn-Out. Und hin prügeln will ich meine Mitarbeiter ja auch nicht. Keine Ahnung, was ich da tun könnte, außer heulen.
Burn-Out? Haben die nicht.
Und was kann ich den Mitarbeitern zum Thema Burn-Out-Prävention sonst noch anbieten? Das machen die ja sowieso nicht und außerdem haben die gar keine Zeit dafür. Und außerdem will ich mich jetzt auch nicht mit dem Thema beschäftigen, ich muss noch eine Präsentation fertig machen. Schon wieder eine Präsentation. Für ein kleines Meeting am Dienstag. Und eine weitere Präsentation für ein weiteres Meeting, das am Ende der Woche stattfindet und dann noch eine Präsentation für die große Jahresversammlung. Keine Ahnung, wann ich das alles machen soll. Ich könnte heulen.
Burn-Out? Habe ich nicht.
Ich bin völlig überhetzt heute Morgen in den Zug gestiegen, um den Flieger noch zu bekommen. Jetzt steh ich am Flughafen und der blöde Flug wurde gecancelt. Also fahr ich jetzt mit dem nächsten Zug wieder zurück ins Büro. Ein halber Tag ist drauf gegangen und ich habe nichts gearbeitet bekommen. Das heißt, ich muss wieder Nachtschicht einlegen. Und jetzt wollen die Mitarbeiter noch eine Weihnachtsfeier organisiert haben. Ich habe überhaupt gar keine Zeit, auf die Weihnachtsfeier zu gehen und den Mitarbeitern zu erzählen, wie schön alles ist und gute Laune zu versprühen. Viel lieber würde ich nach Hause fahren und einfach nur schlafen. Schlafen. Das wäre so etwas. Ich glaube, das habe ich schon länger nicht mehr gemacht. Ich glaube, im Schnitt schlafe ich so vier Stunden in der Nacht. Wenn ich nicht grade auf Geschäftsreise bin. Dann hab ich gar keine Zeit zum Schlafen. Wenn ich nach einer Woche freitags abends heimkomme, bin ich so müde, dass ich einfach nur noch ins Bett will. Und schlafen. Oder heulen.
Burn-Out? Habe ich nicht.
Wir versuchen einen Termin zu finden.
Termine. Von denen hab ich im Moment zu viel. Ich bin in Meetings von 8 bis 18 Uhr, zum Teil auch länger. Es gibt Meetings, die habe ich schon morgens um 7 Uhr angesetzt. Und meine Mitarbeiter? Die sind auch nur noch am rumnörgeln. Zu viele Meetings, zu viel Arbeit. Was erwarten die denn? Ich arbeite doch genauso viel wie sie. Ich verstehe nicht, warum die sich beschweren. Und dann beschwert sich seit neuestem noch meine Frau. Ich wäre kaum noch zu Hause und wenn ich zu Hause bin, würde ich nur noch schlafen. Aber über das viele Geld, das ich mit nach Hause bringe, darüber beschwert sie sich nicht. Ich habe ihr ein neues Auto gekauft. Das wird sie eine Zeit lang ruhig halten und von mir ablenken. Urlaub? Mach ich nicht. Ich war letztes Jahr im Urlaub, da hatte ich meine Sachen mitgenommen. Am Strand war es mir mit dem Notebook zu heiß und außerdem habe ich dann den Bildschirm nicht gesehen. Also habe ich im Hotelzimmer gesessen. Und gearbeitet. Im Hotelzimmer war die Klimaanlage zu hochgestellt. Und ständig kam das Zimmermädchen rein. Da wäre ich doch besser zu Hause geblieben. Oder im Büro. Ich war nach dem Urlaub gestresster als vorher. All die Telefonkonferenzen, die wegen der Zeitverschiebung mitten in der Nacht stattfanden. Das war schon sehr anstrengend.
Burn-Out? Habe ich nicht.
Nach einer Woche rufe ich den Chef wie verabredet wieder an. Da meldet sich seine Sekretärin. Der Chef ist im Krankenhaus. Kreislaufkollaps. Keine Ahnung, wann er wiederkommt. Sie könnte gerade heulen.
Burn-Out? Gibt es nicht.
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